Europäische Energiepolitik /VORSICHT, VIEL TEXT :)

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Sailor
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Europäische Energiepolitik /VORSICHT, VIEL TEXT :)

Beitrag von Sailor »

Da ich mich in den letzten Tagen ein wenig mit Energiegewinnung beschäftigt habe, kam ich letztendlich auch auf die Verknüpfungen in Europa. Ich hole etwas weiter aus...

Zunächst wollte ich mich schlau machen, welche möglichkeiten ich hier vor Ort habe, meinen Stromanbieter zu wählen - Finnland besitzt wie Deutschland seit 1997 einen liberalisierten Strommarkt. Heisst, jeder private Anbieter kann seinen Strom auf dem Markt anbieten. Ich stiess auf Schwierigkeiten, unterschiedliche Anbieter für mein Gebiet zu bekommen, und erst Recht fand ich keinerlei Hinweise, ob mein Stromanbieter fossile,regerenative oder atomare Stromerzeugung betreibt - Vattenfall ist mein Versorger.

Dann stiess ich auf die Gesamtenergiebilanz von Finnland, die für mich doch eine Überraschung war:
70% : Stromimport aus Russland/dem Baltikum
26% : Atomar durch die 4 finnischen AKWs Loviisa & Olkiluoto
4% : Regerenative & Biologische Energiegewinnung

Dann etwas zu dem Strompreis:

Der Strompreis in Deutschland liegt irgendwo um 20 cent pro kwh.
Der Strompreis in Finnland liegt bei 8 cent pro kwh. (ich zahle 6,9 cent)

Dann fing das grüblen an: Baut Finnland nicht eben ein fünftes AKW? mit 1600 MW das grösste finnische, und auch im europäischen Vergleich eins der grössten. Deutschlands grösstest zB ist laut wiki KKI-2 ISAR mit 1475 MW. Einige weitere Zahlen: Die 4 bisherigen AKWs Finnlands leisten zusammen 2400 MW, und decken damit 25% des Landesweiten Strombedarfs. Schnell den Taschenrechner gezückt, und ergebnis: Das Neue AKW alleine wird ~17% des Landesweiten Strombedarfes alleine decken. Dies warf bei mir folgende Frage auf:
- Wozu benötigt Finnland auf einmal 17% mehr Strom?
- 70% Stromimport scheint sehr viel zu sein, warum ist das so?
- Woher kommen die 70% ?
- Will Finnland mit dem neuen AKW vielleicht unabhängig werden von Stromimporten ?

Ich suchte...und las... und las... und tatsächlich: Ich fand Antwort auf alle meine Fragen
1) Finnland will nicht unabhängig werden vom Stromimport, ganz im Gegenteil. Seit 10 Jahren steigen die Margen am importierten Strom weiter und weiter.
2) Der Stromimport erfolgt aus 3 Ländern: Russland und Litauen sind die grössten Lieferanten, weiterhin kauft Finnland aus Schweden Strom aus Wasserkraftwerken.
3) Finnland EXportiert grosse Margen Strom - wie geht das auf, und wohin? Es gibt eine riesige Ostseeleitung, die Strom nach... Deutschland! liefert! Deutschland ist als Exportmarkt für finnischen Atomstrom sehr interessant, da der Strompreis in D einer der höchten Europas ist, und Deutschland Strom benötigt, auf grund von Resourcenmangel. (Atomausstieg, hoher Strombedarf, Regerenative Energie steckt in den Kinderfüssen)
4) Weiterhin Exportiert Finnland, besonders im Winter, grosse Mengen Strom nach Schweden, da nach dem Atomausstieg der schwedischen Regierung mitte der 80ger Schweden einen grossen Teil seines Bedarfes mit Wasserkraft deckt - und die liefern im Winter weniger bis nichts.
5) Finnland will nicht unabhängig werden vom Stromimport, ganz im gegenteil. Anfang 2007 wurde eine Neue Stromleitung in die Baltischen Länder gelegt, um Strom zu importieren. Hauptsächlich geht es hier um Strom aus dem litauschen AKW IGNALINA (tschernobyl bautyp, grösstest AKW der Welt). Die 3 baltischen Staaten zusammen mit dem Betreiber der 4 finnischen AKWs planen den Bau eines weiteres AKWs in Litauen, nur mit dem Ziel des Exports.

- Neue Frage : Wieso erhöht Finnland gleichzeitig den Stronimport, beteiligt sich sogar am Bau neuer AKWs im osteuropäischen Raum, wenn vor der eigenen Tür bereits ein AKW Monster in Bau ist?

6) Finnischer Atomstrom ist auf dem finnischen Markt nicht konkurenzfähig, und der Strom aus dem neubau erst recht nicht !! Die bestehenden 4 finnischen Reaktoren sind sowjetischer Bauart, und liefern "günstigen" Atomstrom, im Vergleich mit westlichen AKWs. Der Neubau Olkiluoto III ist ein EPR Reaktor nach neuesten westlichen Sicherheitsmassstäben, und wird dementsprechend teuren Strom produzieren.

- Gut, wer hat dann ein interesse an teuren finnischen Atomstrom, den kein Finne freiwillig bezahlt?

7) Ganz klar: Die Länder, die den Atomausstieg erklärt haben - Deutschland und Schweden zB., wo der Strompreis hoch ist.

Aber wie "aktiv" ist zB Deutschland an dem neubau in Finnland beteiligt?
Sehr aktiv.
Das erstemal aufmerksam wurde ich als ende des Jahren 2005 deutsch sprechende IT Leute für ein Projekt in Olkiluoto/Oulu gesucht wurden. Selbstverständlich erweckte dies mein Interesse, und auf Nachfrage wurde der Einsatzort klar: Es ging um ein AKW. Das ist nicht alles.
...der Hersteller Framatome ANP, ein Konzern, an dem Siemens mit 34 Prozent beteiligt ist.
und:
Dessen Bau soll 3,2 Milliarden Euro kosten, was einem Preis von 2000 Euro pro kW Leistung entsprechen würde. Der finnische Reaktor wird mit verdeckten staatlichen Subventionen unterstützt. So vergibt die Bayerische Landesbank einen Kredit in Höhe von 1,95 Milliarden Euro mit dem bemerkenswert niedrigen Zinssatz von 2,6 Prozent.
Das Geld für den Bau stammt also zu knapp 2/3 aus Deutschland, und deutsche Technik und Ingenieure zeigen ihr können im Bereich der Atomtechnik.

FAZIT:

Atomausstieg in Deutschland (gleiches gilt für Schweden) klingt immer toll im ersten Moment - auf den zweiten Blick ist alles ganz anders. Ich bin ganz ehrlich gesagt schockiert, mit welchen Taktiken hier geschachert wird, auf kosten unserer Sicherheit! Am Ende ist alles ein reiner Kostenfaktor:
- Deutschland baut keine AKWs mehr aus Kostengründen: Die Bevölkerung macht bei jedem Atommülltransport einen mordszeter, der den Steuerzahler Millionen kostet, und deutschen Atomstrom untragbar und unbezahlbar machte.
- Schweden hat sich ein tollen Image als erstes europäisches Land, dass den Atomausstieg volzog, gekauft - aber smörrebröd wird immernoch im Atomtoaster warmgemacht.l
- Finnland hält mit die niedrigsten Strompreise Europas, indem es billig Strom aus russischen und litauschen (eig. ja sowjetischen..) AKWs importiert.

Tja, was nun? Ich persönlich war immer ein grosser Gegner von Atomkraft, war irgendwie stolz und froh über den Atomausstieg Deutschlands, aber auf welche Kosten? Wenn wir das ganze aneinander ketten, bezahlt Deutschland das Tschernobyl AKW in Litauen. Im Prinzip könnten die Politiker auch sagen "Hey, wir bauen in Deutschland keine AKWs mehr, dafür kaufen wir jetzt mal n paar MW aus maroden osteuropäischen Druckwasser AKWs!" Natürlich wird kein Politker sowas sagen oder zugeben, dies wäre ein Skandal - aber im Prinzip ist genau DAS das Result! Denn eins ist klar : Strom muss irgendwo herkommen, und unser Bedarf wird auch nicht kleiner.

Dies ist aber alles trotzdem ein Teufelskreis: AKWs mit westlichem Standart liefern kaum bezahlbaren Strom, nur für die teuersten Strompreis Länder wie Deutschland lohnt sich der Bau & Betrieb von AKWs. Billigen Atomstrom gibts nur aus "unsicheren" Druckwasserreaktoren - wär mal gespannt, wie die deutsche Bevölkerung reagieren würde, wen man den Bau von "Tschernobyl II" auf deutschem Gebiet ankündigen würde?

Was ich mir vorstelle/wünschen würde: So ein Atomausstieg bringt nix, wenn Deutschland nicht ohne Atomstrom auskommt, dann müssen halt neue Atomkraftwerke auf Bundesdeutschem Gebiet gebaut werden. Dies muss auch in die Köpfe der Atomkraftgegner rein, den: falls das, was westliche Atomtechniker sagen stimmt (das westeuropäische Technik ein vielfaches sicherer ist), können wir unseren Strom nicht auf kosten der Sicherheit anderer produzieren lassen. Aber über kurz oder lang wird auch das zu ende sein! Auch Atomstrom ist ein fossiler Brennstoff, der irgendwann ausgeht, bzw: Teuer wird! Man geht heute von noch 3,2 mil tonnen Uran aus, dass zu erschwinglichen Preisen gewonnen werden kann. Wiederaufbearbeitung ist teuer, und verstrahlt die umwelt ungemein - keine Option (Stichwort: Sellafield)
Solarstrom: Man liest oft: Baut doch die Sahara voll mit Fotovolatikanlagen (Solarenergie). Gute Idee nur: Fotovoltaik ist teuer in der Anschaffung, und liefert deshalb Strom zu einem Preis von 50 cent pro kwh!
Windkraft liefert günstigen Strom, aber wenig und unbeständig, wird also nie einen tragenden Beitrag in der Stromversorgung leisten.

Ich denke, die Lösung liegt beim Verbraucher: zB
- Glühbirnen mit 100W sind out, man sollte den Verkauf schlicht verbieten. Energiesparlampen mit max. 11W, dort liese sich schon viel sparen. Bei mir zu hause brennen zB schon Energiesparlampen.
- Häuser und Fenster müssen besser isoliert werden. Es ist ein wahnsinn was dort möglich ist! Ich kenne ja nun beide Wohnsituationen, Deutschland und Finnland. Während ich in D bei 4° aussentemp in meinem Zimmer gefroren habe, und die Heizung gekocht hat, musste ich in meinem ersten Winter in Finnland mit erstaunen feststellen: draussen -30°, innen +20° und die Heizung ist nichtmal lauwarm!

Nun, fürs erste genug gelabert... mal sehen, ob das hier überhaupt jemanden interessiert, und wenn, wie die Meinungen sind. Wie sieht eure Lösung aus ? Eure meinung zu Atomstrom ?
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smashIt
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Beitrag von smashIt »

netter bericht, aber nix neues
allerdings noch n paar anmerkungen von mir:

1.: atomstrom kann nie billig sein. egal nach welchem standart. die rechnung geht nur auf solang man die kosten für entsorgung und endlagerung des verstrahlten krams nicht berücksichtigt (wird ja vorbildlich den kommenden generationen untergejubelt)

2.: photovoltaik steckt noch in den kinderschuhen, und wird sich warscheinlich nie durchsetzen. wir sind grad mal soweit das die zelln mehr energie produziern als sie bei der erzeugung verschlungen haben.
für strom gibts echt bessere alternativen die auch biologisch unbedenklich sind
die stärke der sonne liegt im heizen, was in unsren breiten allerdings einen enormen brocken ausmacht.

3.: das problem an windanlagen is das man strom noch nciht vernünftig speichern/puffern kann. eine möglichkeit die geforderten mengen zu speichern sind speicherkraftwerke, allerdings is der wirkungsgrad und platzbedarf alles andere als berauschend.

4.:ich gehör auch zu den anhengern der "pflastert die wüste zu" fraktion, allerdings halt ich reflektoren + dampfturbinen für die bessere alternative.
es gäbe auch noch solarbetriebene windkraftwerke die für solche einsatzzwecke gut geeignet wären (iirc steht da eh ne testanlage in spanien)
Ordnung ist etwas für Kleingeister, das Genie überblickt das Chaos!

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Cali
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Beitrag von Cali »

danke für den ausführlichen und interessanten Bericht Sailor!
Über die Hälfte war mir komplett neu...


Zum Thema Energiesparen:

Meine Neubauwohnung ist erst 4 Jahre alt und ebenfalls 1A isoliert, was sich in absolut niedrigen Heizkosten niederschlägt.

Ich nutze weniger Energiesparlampen, aber in meinen Halogenlampen brennen LED Birnen, die zw. 1 und 4 Watt verbrauchen und zudem in allen Farben erhältlich sind (die neue Generation ist sogar ziemlich hell).
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