Wird uns die Zeit genommen ?
Verfasst: 11 Jan 2007, 17:21
Ich hab den folgenden Artikel auf yahoo.de gelesen und habe mich da auch tatsächlich in dieser Falle wiedergefunden. Und das nicht nur allein aus dem Grund, dass ich früher Momo und die Männer in den grauen Anzügen gesehen habe (die uns die Zeit wegrauchen)...
Würde mich interessieren, wie Ihr das Thema seht:
Würde mich interessieren, wie Ihr das Thema seht:
Jena (ddp-lth). Wer kennt nicht das Gefühl, dass einem die Zeit davonläuft? Kaum dass morgens der Wecker klingelt, huschen die Gedanken bereits von einem Termin zum nächsten, immer in dem Wissen, dass man mal wieder nicht alles schaffen wird. Längst sind Stress und Hektik für viele Menschen gewohnter Alltag. Doch irgendwie erinnert die Situation an die eines Hamsters, der sich in seinem Laufrad völlig verausgabt, ohne je ans Ziel zu kommen.
Dieses Phänomen kennt der Jenaer Wissenschaftler Hartmut Rosa gut. Schließlich betreibt der Inhaber des Lehrstuhls für allgemeine und
theoretische Soziologie an der dortigen Universität dazu Grundlagen-Forschung. Dabei ist der 41-Jährige so erfolgreich, dass er als einziger Geisteswissenschaftler im Februar für sein Buch «Beschleunigung - Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne» mit einem der Thüringer Forschungspreise 2006 geehrt wird.
Rosa ist dem Phänomen «Zeitnot», dem immer knapper werdenden «Rohstoff Zeit» auf der Spur. «Das Bewusstsein für die Zeit entwickelte sich aber nicht erst in der Spätmoderne», weiß er. Schon Shakespeare habe beklagt, «die Zeit ist aus den Fugen», der Philosoph Virilio die Metapher vom «rasenden Stillstand» gefunden. Das Leben werde immer schneller. Von der einstigen Idee, dass die Menschen bei einer funktionierenden Wirtschaft mehr Freizeit hätten, sei nichts geblieben, bedauert der studierte Germanist und Philosoph. «Zwar gewinnen wir dank immer besserer technischer Mittel immer mehr Zeit, doch wir haben das Gefühl, immer weniger Zeit zu haben», bringt er es auf den Punkt.
Als ein Hauptgrund für die die Welt regierende Beschleunigung sieht er den weltweiten Wettbewerb, der die Menschen unter den Zwang stellt, überall an der Spitze stehen zu müssen. Dabei definiert der Wissenschaftler mit der technischen, der sozialen und der individuellen Beschleunigung drei sich gegenseitig bedingende Dimensionen dieses Paradoxons. «Der Mensch ist gezwungen, sich der rasanten technischen Entwicklung anzupassen, muss sich immer öfter und schneller umorientieren. Dadurch ändert sich die Art unseres Zusammenlebens, worauf wir reagieren, indem wir versuchen, schneller zu leben.» Fast-Food, Speed-Dating, Power-Naps, Multitasking nennt der Soziologe als Schlagworte.
Viele Menschen sähen sich angesichts dieser Entwicklung an den Grenzen ihrer körperlichen und psychischen Belastbarkeit, andere würden förmlich aus dieser Endlos-Spirale der Dynamisierung heraus katapultiert, konstatiert Rosa. «Ihnen wird quasi die in der Produktion gesparte Zeit als Arbeitslosigkeit heimgezahlt und sie haben plötzlich ein Übermaß an freier Zeit», kritisiert der Jenaer Sozialphilosoph, der auch an der New School University in New York lehrt, eine «gesellschaftliche Fehlentwicklung». Für diese Menschen stehe die Zeit plötzlich still. Die Folge dieser Zeitpolarisierung sei eine statistisch belegte Zunahme von Depressionserkrankungen.
Auch die Politik leide unter Zeitnot. «Demokratie ist zu langsam für die heutige Zeit, weil öffentliche Diskussionen zeitraubend sind. Deshalb agiert Politik nicht mehr, sondern hechelt hinterher», veranschaulicht Rosa. Als aktuellstes Beispiel nennt er die Gesundheitsreform und die nicht ausgereiften Entscheidungen zur Gentechnologie.
Doch der vom Philosophen Walter Benjamin empfohlene «Griff zur Notbremse» ist nach den Worten Rosas nicht so einfach. Man könne der Mentalität von «Schneller - Höher - Weiter - Mehr» eher eine Entschleunigung entgegensetzen, sich «Zeitinseln» schaffen oder «Auszeiten nehmen». Auch einen Anker sollte man werfen, beispielsweise, in dem man nach beruflich bedingtem Nomadenleben an einem Ort sesshaft wird. Dort sei man auch flexibel, aber «nicht orientierungslos wie ein Blatt im Wind».
Ethischen Aspekten in der Beschleunigungsgesellschaft widmet sich Wissenschaftler in seiner Antrittsvorlesung am Donnerstag an der Jenaer Universität. Dabei gehe es um die Frage, ob «sich die Menschen in einer freundlichen Welt aufgehoben oder sich in eine feindliche Welt hineingeworfen fühlen».